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Hannelore Scholz (18.5.1943 bis 5.4.1945)

Die Anthroposophin Dr. Ursula Amalie Bensel war knapp zweieinhalb Jahre am KKR tätig, davon 15 Monate während des Dritten Reichs. Noch kurz vor Kriegsende tötete Bensel die fast zweijährige Hannelore Scholz (* 18.5.1943 in Altona, † 5.4.1945). Sie war offenbar das letzte Todesopfer des »Reichsausschusses« dort. Einen ersten Krampf anfall erlitt das Kind im Juli 1943. Die Familie evakuierte man nach den Bombenangriffen aus Hamburg nach Bad Oldesloe. Die Entwicklung des Kindes stagnierte. Im September 1943 kehrte die Familie in die Hamburger Wohnung zurück. Amtsärzte drängten sie immer wieder dazu, das Kind in das KKR zu geben. Erst im März 1945 gab die Familie diesem Drängen nach. Bei der Aufnahme fragte Hannelores Mutter Bayer, ob es denn kein Mittel für ihre Tochter gebe. Dieser sagte ihr, dass er es mit Bestrahlung versuchen könne, diese würde aber zu 90 Prozent tödlich verlaufen. Das erläuterte die Mutter während einer Vernehmung im Jahr 1948. Ursula Bensel nahm Hannelore auf ihrer Kleinkinderstation auf. Sie stellte die Diagnose »Littlesche Krankheit«, die damalige Bezeichnung für spastische Lähmung, so Thevs. »Bensel erläutert bei ihrer Vernehmung am 8.4.1946 die Umstände, unter denen sie Hannelore Scholz die tödliche Spritze verabfolgte. Zu dem Zeitpunkt hielt sich Bayer in einem Lazarett in Dänemark auf, wo er aus dem Osten geflüchtete und vertriebene Kinder behandelte. Als Anthroposophin lehnte Ursula Bensel die ›Euthanasie‹ ab. Wenige Tage vor dem Tod Hannelores trat Bayer an sie heran und sagte ihr, dass das Kind vom ›Reichsausschuss‹ geschickt sei und sie ja wisse, was mit ihr zu geschehen habe und nannte ihr auch die Menge des zu spritzenden Luminals«, so Thevs. »Ursula Bensel suchte nach einem Ausweg und sprach beim nächsten Besuchstag Hannelores Mutter an. Diese berichtete ihr von ihrem Gespräch mit Bayer und schilderte ihr die schwierigen häuslichen Verhältnisse. Die Ärztin legte der Mutter nahe, das Kind wieder mit nach Hause zu nehmen, was diese ablehnte, weil sie mit ihrer Mutter und ihrem beinamputierten Verlobten Hamburg verlassen wollte. Da sie auch selbst krank sei, könne sie das Kind nicht auf die Flucht mitnehmen. Sie bat darum, die mit Bayer besprochene Behandlung vorzunehmen. Die Ärztin wusste, dass Bayer von einer ›Behandlung‹ sprach, um Frau Scholz nicht in einen Gewissenskonflikt zu bringen. Doch sah sie nun keinen Ausweg mehr und gab dem Kind die angeordnete Luminal-Spritze von 5 ccm. Sie mordete entgegen ihrer Überzeugung«, wertet Thevs diesen Fall. »Die Familie Scholz, so eine Angehörige, ist bis heute durch Schweigen und Schuldgefühle belastet«, schreibt Thevs. Klaus-Dieter, der Halbbruder von Hannelore, schilderte als 77-Jähriger seiner Nichte, wie er und sein Vater die Leiche des Kindes im Kinderwagen vom KKR abholten und so nach Hause beförderten. Dort holte es der Beerdigungsunternehmer ab und steckte den Leichnam seiner Halbschwester in einen Sack, den er über der Schulter trug. Hannelore wurde auf dem Friedhof Diebsteich beerdigt.

 

Mehr zu ihr in: Andreas Babel: Kindermord im Krankenhaus, Edition Falkenberg, 1. Auflage 2015, S. 135, 3. Auflage 2021, S. 169 und 170, sowie in: Hildegard Thevs: Stolpersteine in Hamburg-Rothenburgsort, S. 211 bis 214.

 

Hannelore Scholz als Baby
auf dem Arm ihrer Cousine.
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